Ohne »Forks« könnte The Bear nicht existieren

Richie poliert Gabeln

Es brauchte weder die Golden Globes noch die Emmys um zu beweisen, dass The Bear die beste Serie der letzten Jahre ist. Den Beleg haben schon die Gastrollen in der zweiten Staffel geliefert – denn mit Jamie Lee Curtis und Olivia Coleman haben sich gleich zwei Oscar-Gewinnerinnen vor die Kameras gestellt.

Gerede der Auftritt von Curtis als Donna Berzatto ist dabei, was den meisten im Gedächtnis bleiben wird. Ihre Folge »Fishes« ist laut, intensiv und beklemmend realistisch. Für sich alleine genommen sollte wirklich alles daran in die Lehrbücher für angehende Fernsehmacher:innen wandern. Doch in seiner Intensität überschattet »Fishes« den wahren Star – nicht nur der Staffel, sondern der ganzen Serie bisher. Denn nur eine Folge später beweist »Forks«, weshalb The Bear überhaupt existieren sollte.

Aus der externen Logik ist der Sinn klar: Kochen ist seit Jahren ein angesagtes Thema, seien es die ganzen Gordon Ramsey Kochsendungen, Netflix’ Chef’s Table oder Kitchen Impossible (die beste Sendung im gesamten deutschen Fernsehen.) Außerdem ist spätestens durch die Berichte von Anthony Burdain klar, welcher Ton in der Küche herrscht, das Drama schreibt sich also von selbst.

Doch was ist die intrinsische Motivation von Carmy The Original Beef of Chicagoland zu The Bear zu machen. Klar, er kommt aus dem Fine Dining und der Sandwichshop läuft nicht gut. Aber schon die Reaktionen seines Teams zeigen die Skepsis gegenüber gehobener Küche. »Forks« zeigt, dass es dabei um mehr als nur verkopftes Essen mit zu kleinen Portionen geht – und dass gute Küche mehr als nur kochen ist.

»Forks« dreht sich um Richie, den wohl größten Gegner von Fine Dining im gesamten Team, der als Stage im besten Restaurant der Welt lernen soll, was das Konzept überhaupt bedeutet. Denn auch wenn es die reichen Schnösel sind, die solche Läden am laufen halten, das sind nicht die Menschen, um die es geht.

Es geht um das Lehrerpaar, das Jahre auf diese Erfahrung gewartet hat. Es geht um die Tourigruppe, die Deep Dish, echte Deep Dish, keine Molekularvariante bekommt, weil die zu Chicago dazugehört. So wichtig die Folge für die Entwicklung von Richie ist, so wird auch das Publikum mitgenommen und gezeigt, dass Kochen eben auch eine Kulturpraxis sein kann – und dass es um die Gesamterfahrung geht, wo guter Service und poliertes Besteck den gleichen Stellenwert wie perfekte Kochkunst haben.

Durch »Forks« legitimiert The Bear die eigene Existenz über das reine Entertainment hinaus. Es zeigt, welchen Wert die Entwicklung zum Sternerestaurant haben kann, die über das Ego des Chefkochs hinausgehtl

Natürlich ist das Konzept in The Bear idealisiert. Olivia Colemans Terry ist ruhig und selbstbestimmt, putzt die Pilze noch selber zu. Das Lehrerpaar bekommt das Essen inklusive extra Kaviar aufs Haus. Das entspricht keiner 3-Sterne-Realität, aber auch das ist okay.

Stattdessen zeigt The Bear, wie Kultur sein sollte – und auch könnte, statt einfach nur den Status Quo abzubilden. Das Beispiel mit der Deep Dish (sorry, ich kann es nicht Pizza nennen) schwirrt mir dafür bis heute durch den Kopf. Das Gericht wird nicht von oben herab behandelt, sondern als essenzieller Teil der Chicago-Erfahrung gesehen.

Das ist, wie Kultur funktionieren sollte, was leider zu oft nicht passiert. Aus der Opernloge wird der Pop belächelt, während in den Clubs der Stadt so getan wird, als hätten Verdi und Co. heute keine Existenzberechtigung mehr. Dabei braucht es das alles, um ein Kulturspektrum abzubilden. Und wenn sich die Lager treffen, können besondere Dinge entstehen – zum Beispiel wenn der WDR sein Funkhausorchester abstellt, um politische Popmusik neu zu inszenieren. Aber das ist ein anderes Thema.