Autor: ausnahmsweise


  • Wir hätten Twitter niemals »Hellsite« nennen dürfen

    Die wahre Hölle sind die Powerpoint-Selbstinszenierungen der Generation Y

    Vor drei Wochen überfiel die islamistische Terrororganisation Hamas die israelische Zivilbevölkerung und das folgende Massaker war der größte Verlust jüdischen Lebens seit des Holocausts.

    Seitdem überschlägt sich die westliche Linke mit Takes, die an Dummheit, Dreistigkeit und Unsäglichkeit nicht zu überbieten sind. Die Hamas ist eine religiös-fundamentalistische Terrororganisation, die Frauen, Freiheit und Frieden verachtet. Das ist ein Fakt, keine Meinung. Doch um den Diskurs soll es nicht gehen, dem habe ich nach diesem Meisterhaften Text voller Zorn und Enttäuschung von Beatrice Frasl nichts mehr hinzufügen:

    »Die Grenzenlosigkeit eurer moralischen Verwahrlosung ist nicht zu fassen.«

    Stattdessen hat mich ein Absatz des Textes nochmal auf das Problem gebracht, das alle Sozialen Netzwerke außer Twitter1 zur wahren Hellsite macht, wenn es um Diskurs geht: Stickiness.

    Stickiness ist das Konzept, Menschen auf der eigenen Plattform zu halten, statt sie ins freie Web zu entlassen. Etwas, das mittlerweile auch X versucht, in die Überschriften auf Links zu Nachrichtenartikeln ausgeblendet werden.

    Vorreiter sind hier Meta mit Instagram, wo man zwar in Links setzen kann, die aber niemand anklickt und von »Link in Bio«-Posts fangen wir gar nicht erst an oder auch Facebook und Threads, die explizit keine Lust auf journalistische Inhalte haben.

    Das Resultat ist die wahre Hölle des Internets, Content, der das Wort »Hellsite« mehr verdient, als alles, was jemals auf Twitter passiert ist. Das Sharepic. Oder wie Beatrice Frasl es beschreibt:

    »In den letzten Jahren wurde linker, auch feministischer Aktivismus auf allen Fronten in allen Themenbereichen auf eine Art und Weise instasharepicverblödet und veroberflächlicht, dass er in weiten Teilen zu inkohärentem und inhärent widersprüchlichem Geschwurbel wurde. Slogans auf pastellfarbigen Info-Slides und die gleichzeitige Anspruchshaltung, dass sie nun auf Kommando alle unreflektiert mitzugrölen haben, ist alles, was man an Inhalt zustande bringt. Völlige Abwesenheit jedweder kritischen Denkfähigkeit, verbunden mit -Mitläufertum (egal, was dieses current thing ist), wurde zum Inbegriff des linken Aktivismus. Und im Notfall faschiert man und vermengt man alles, bis unten nur mehr Scheiße rauskommt.«

    Sharepics sind die ungebeten Mails mit angehängten Powerpoint-Präsentationen der Generation Y. Ein Hort der Diskursverkürzung, bei dem Typografie Inhalt schlägt. Das Problem ist: Powerpoint-Slides sind nur die Stichpunkte, die guten Redner:innen dabei helfen, komplexe Themen tiefer zu erläutern. Sie sind ein Hilfsmittel, keine eigenständige Quelle.

    Das interessiert auf Instagram jedoch niemanden. Und wo Tweets wenigstens theoretisch die Möglichkeit geben, jemanden anzufixen und dann mit einem Link zu ausführlichen Artikeln, Podcasts oder Youtube-Videos den nötigen Kontext zu liefern, wird dieser auf den sticky Plattformen dieser Welt niemals jemand zu Gesicht bekommen.

    Das hält Menschen nicht davon ab, diesen verkürzten Inhalten eine Reichweite zu verschaffen, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Denn ohne den nötigen Kontext, die tieferen Erklärungen, sind Sharepics nicht nur wertlos, sie werden auch gefährlich.

    Das Ergebnis sind Menschen, die jetzt »Psychologie« als Hobby haben, weil sie Fachbegriffe wie Trigger, Gaslighting oder toxisch kontextfrei gelernt haben und sie jetzt als Waffe einsetzen, um das eigene Arschlochverhalten zu rechtfertigen. Herzlichen Glückwunsch.

    Doch das Problem ist – wie immer – nicht das Individuum, sondern das System. Das sieht man daran, wie selbst Institutionen, die es besser wissen (nicht einmal sollten, sie wissen es tatsächlich besser), sich nicht gegen die Anziehung billiger Reichweite wehren können.

    Kein journalistisches Medium kommt heute ohne die Zitatkachel aus, dem Cousin des Sharepics. Das ist oft lustig und ein bisschen egal, aber bei ernsten Themen eine Katastrophe. Denn eigentlich wissen alle, dass sich 15 Minuten nicht auf einen Absatz herunterbrechen lassen, ohne dass viel verloren geht. Und auf der Zitatkachel ist nichtmal Platz dafür, sondern nur für den knalligsten Satz des Gesprächs, der in ca. 100 % der Fälle im eigentlichen Text eingeordnet oder abgeschwächt wird.

    Diesen Kontext sieht aber nur eine Person, die angefixt genug ist, auf das Instagram-Profil zu klicken und da eine ewige Linktree-Liste zu durchsuchen, um den echten Inhalt zu finden. Der Rest behält einfach nur den starken Satz im Kopf oder verteilt den sogar noch an seine Freund:innen.

    Und am Ende bleibt hängen: Die Hamas kämpft für die Freiheit der Palästinenser:innen. Sorry, für »fundamentalistisch-islamistisch, freiheitsfeindlich und misogyn und an der Auslöschung aller Juden interessiert« war leider kein Platz.2

    1. Twitter und Twitter-Likes wie Mastodon und Bluesky, nicht X. Ich meine niemals X, wenn es um gute Beispiele geht. ↩︎
    2. Dass gerade in der US-Linken, die auch hier viel gelesen wird, auch in den langen Artikel viel Bullshit steht, ist ein anderes Thema. Man merkt, dass es sowas wie die Anti-D-Bewegung hier in Deutschland (die auch viele Probleme, vor allem Rassismus, hatte) dort nie gegeben hat. ↩︎


  • Das Problem mit Star Trek: Lower Decks – oder: Die Faulheit von Fan Service

    Wir leben im goldenen Alter von Star Trek. Kaum ist die eine Staffel vorbei, startet die nächste Serie mit einer neuen. Christopher Pike in Strange New Worlds ist in meinen Augen der beste Captain, den wir je gesehen haben und Shows wie Discovery und Prodigy probieren wirklich neue Dinge in dem Universum.

    Doch wirklich jede dieser neuen Serien durchzieht eine Last, die weder TNG, noch Voyager noch DS9 mit sich herumschleppen mussten: Fan Service. Keine einzige Folge kommt ohne Referenzen auf Dinge aus, die wir alle schon gesehen haben. Discovery hat eine junge Version von Spock als Charakter eingeführt, Strange New Worlds bringt Star Treks Ur-Captain Pike zurück, Picard ist in der letzten Staffel sogar die Enterprise D geflogen.

    Klar, es ist ein zusammenhängendes Universum und Momente wie Wolf 359 sind so massiv, dass sie regelmäßig aufkommen werden, aber die Häufigkeit wird zu einem echten Problem in den neuen Serien. Als Scotty die Next-Generation-Crew besucht hat, war das in Staffel 6, nicht der ersten. So wurde dem Publikum erlaubt, sich erstmal mit der neuen Mannschaft anzufreunden und ihr der Freiraum gegeben, sich ohne die Last der Vorgänger zu entwickeln.

    Das genaue Gegenteil ist Lower Decks. Eine Show, der man in jeder Szene anmerkt, dass sie von Rick & Morty-Writern geschrieben wird. Das Problem ist: Rick & Morty ist eine Satire auf andere Serien, natürlich baut sie darum auf Referenzen auf. Lower Decks hingegen ist eine Hommage an Star Trek. Nur halt als Serie, nicht als einzelne Folge.

    Gibt es einen guten Grund, dass die Cerritos ein Chula-Spiel, bekannt aus Deep Space Nine, transportiert? Nein, aber es wäre doch voll lustig, wenn unsere unerfahrene Crew auf ein Problem stößt, das wir schon kennen. Das ist nur ein Beispiel, aber etwas, das in fast jeder Episode auftaucht.

    Das macht Lower Decks zu einer guten Serie für Star Trek Fans. Ich habe jede Folge aller Serien (bis auf Animated TOS) gesehen und sitze so vor meinem Fernseher:

    Leonardo di Caprio, der wissend auf etwas zeigt.

(Mir ist die Ironie bewusst, dass ich ein Meme über einen Absatz der Laziness von Memes stelle.)

    Am Ende des Tages ist diese Art Serien zu schreiben faul. Nicht im Sinne von Arbeitsaufwand. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie oft die Autor:innen Wikis durchforsten, alte Shows und Romane lesen. Aber kreativ ist das ehrlich eine Bankrotterklärung. Memes sind im Internet lustig, wo alle einen schnellen Riff auf derselben Idee beisteuern. Eine Grundlage für echtes Storytelling sind sie jedoch nicht.

    Das heißt alles nicht, dass ich Lower Decks nicht mag. Die Charaktere sind mir ans Herz gewachsen, die Witze oft gut. Aber ich halte die Probleme von Lower Decks für etwas, das sich durch alle neuen Star-Trek-Serien zieht und mir Sorgen bereitet.

    Next Generation hat die Ferengi und die Borg eingeführt. Voyager hatte einen komplett neuen Quadranten, den es zu erforschen galt. Deep Space Nine hatte ein stationäres Setting und komplett neuartige Probleme.

    Bei den neuen Shows traut sich nur Discovery wirklich etwas Neues – und wird dafür von den Die-Hard-Fans oft abgestraft. Sei es ein neues Design für Klingonen, das perfekt in das Setting der Show passt oder (zugegebenermaßen manchmal etwas holprige) Plots, die wir so noch nie in Star Trek hatten: Discovery hat es wenigstens versucht.

    Die Reaktion von CBS/Paramount war eine ähnlich wie die von Disney bei den neuen Star-Wars-Filmen oder Warner Bros./HBO bei Zach Snyder: Ein Einknicken vor den lautesten Fans, die für ihre Lieblingsfranchises einfach das sehen wollen, was sie schon kennen.

    Das macht die Serien nicht schlecht, es hat schließlich seinen Grund, dass wir diese Universen so lieben. Aber für Kreativität oder ein starkes Fundament für die Zukunft sollte man nicht auf Fans hören. Denn wir wissen nicht wirklich, was wir wollen. Wir wissen nur, was wir schon kennen. Und ich würde mir wünschen, dass wir öfter ignoriert werden.

    Es gibt noch den Aspekt, dass Serien auf Streaming-Diensten mit ihren 8-12 Episoden pro Staffel nicht genug Raum bekommen, sich wirklich zu entfalten und ihren eigenen Weg zu finden. Stattdessen muss jede Folge wichtig sein, dabei lernen wir Charaktere oft viel besser kennen, wenn eigentlich nichts passiert. Aber das ist ein Thema für ein anderes Mal.


  • Es muss immer alles komplett verwertet werden

    Bild von Münzen auf gelbem Grund.

    Wer sich bei einer Social-Media-Plattform anmeldet, muss darüber schreiben, wie es auf der Seite so ist. Dementsprechend ist es nur logisch, dass ich bei meinem tausendsten Versuch zu bloggen, erstmal darüber schreibe, was meine große Schwierigkeit beim Bloggen ist. Die Verwertungslogik.

    Mein Ideal wäre ein persönliches Blog. Die Art Webseite, die mich überhaupt erst ins Internet geholt hat und mittlerweile fast ausgestorben ist. Wo einfach das gepostet wird, was man gerade fühlt, was einen gerade beschäftigt oder auch einfach nur coole Dinge, die man irgendwo gefunden hat. (Shoutout an Ronny, der das vermutlich länger und konsequenter durchzieht, als jede:r andere in Deutschland.)

    Gleichzeitig ist es mein Job, mich mit Plattformen zu beschäftigen und ich weiß, wie man sich ein großes Publikum zulegt. Es hat seinen Grund, warum Leute wie Taylor Lorenz auf TikTok und Threads einen Post nach dem anderen raushaut. Der Algorithmus hat Hunger und so wird man nach oben gespült. Doch auch ohne Feeds gibt es eine klare Regel für Erfolg: Finde deine Nische.

    Wenn man nicht gerade der interessanteste Mensch der Welt ist, folgen einem Leute für Themen, die sie interessieren. Ob Klimakrise, Humor oder Technik ist egal, Hauptsache der Content ist vorhersehbar. Kurzgesagt: Eine große Followerschaft aufbauen ist nicht Glück, sondern ein relativ klarer Weg, dem man folgen sollte.

    Der Mensch ist kein Thema

    Diese kapitalistische Verwertungslogik ist auch durchaus sinnvoll. Der Tag ist zu kurz, um sich mit allem auszukennen und in meinem Beruf bin ich darauf angewiesen in meinem abgesteckten Themenfeld auf dem laufenden zu sein, damit ich anderen in kurzer Zeit erklären kann, was gerade vor sich geht.

    Aber ich, die Person, habe weit mehr Interessen als ich, der Fachjournalist. Der Grund, warum ich eigentlich wieder mit dem Bloggen anfangen wollte, ist, weil ich mich über Star Trek: Lower Decks geärgert habe. Oder ich könnte über die besten Kopfhörer für jede Situation sprechen, tagelang.

    Das alles sind Sachen, die ich auf Twitter jahrelang so gemacht habe. Weil es Spaß macht. Weil ich mehr als nur ein Thema bin. Weil ich nicht jeden Aspekt meines Lebens optimieren muss – theoretisch.

    Zwischenüberschriften sind sehr wichtig

    Gleichzeitig wird es immer wichtiger, dass Journalist:innen sich zu ihrer eigenen Marke machen. Dass ich mir überhaupt erlauben konnte mein Twitter nicht auf Reichweite zu optimieren, ist realistisch gesehen dem Luxus geschuldet, dass ich als weißer Mann nicht an jeder Ecke meine Kompetenz beweisen muss, um einen Vorsprung zu gewinnen und in einer Situation bin, die mir erlaubt, nicht jede Chance zu nutzen.

    Aber so zu tun, als könnte ich mich von dem Optimierungsgedanken lösen, ist auch naiv. Ich denke jedes Mal, wenn ich Quatsch oder Meinungen ins Internet schreibe, dass ich mich auf Netzkultur und -Politik beschränken sollte. Das sind schließlich meine vermarktbaren Themenfelder.

    Bei der Produktion von meinem Podcast »Besser als sein Ruf« (immer die eigenen Projekte erwähnen!) frage ich mich oft, ob ich mehr Zeit in die Struktur und den Schnitt stecken sollte, schließlich könnte das ein schlechtes Licht auf meinen Job werfen. Und schon wird das Hobby zur Arbeit.

    Sollte ich die Blogpost auch als Newsletter veröffentlichen, obwohl ich der festen Überzeugung bin, dass die Mail-Inbox ein furchtbarer Ort für Texte ist? Schließlich ist das Medium immer noch erfolgreich. Und während ich schreibe, fällt mir auf, dass jede Statistik sagt, dass dieser Artikel hier viel zu lang ist.

    Eine neue Chance

    Während jetzt alle zu Bluesky gehen, frage ich mich, ob das der Moment für ein Rebranding ist. Selbst eine moderate Professionalisierung hätte garantiert positive Folgen. Und vermutlich sollte ich nur über Netzkultur bloggen. Es gibt schließlich genug Material, das es nicht in meine Arbeit schafft.

    Das Problem ist: Ich bin nie ins Internet gegangen, weil ich eine Visitenkarte brauche. Ich war schon immer hier, deshalb ist es jetzt mein Beruf, nicht andersrum. Das ist nur der Verwertungslogik egal.

    Ein guter Text sollte übrigens mit einem konstruktiven Lösungsansatz enden. Vielleicht füge ich ihn ein, wenn ich ihn jemals finde.